Wir leben in einer kranken Gesellschaft. Das spüren oder wissen wir alle mehr oder weniger deutlich. Und können dies auch an einzelnen Dingen festmachen. JedeR von uns. Seit Jahren bereits drehen sich genau darum viele Diskussionen, die ich beispielsweise auf facebook erlebe, in Foren und auf anderen Internetplattformen. Seit Jahren ist dieser Trend sogar zunehmend. Es erschien mir oft, als würde sich dort etwas Luft machen und nach Aufmerksamkeit rufen, was im normalrealen Leben sich kaum noch äußern kann oder eben den Raum nicht findet, sich zu artikulieren.
Eines, was ich dabei immer wieder und ebenfalls stetig steigend feststelle, wird dabei aber meist nicht einmal angesprochen (vermutlich weil sich dies niemand so direkt zu sagen traut?): Wir leiden unter mangelnder Aufmerksamkeit und Bestätigung, ja oft auch an Liebe oder wenigstens Mitgefühl.
Dieses System, in welchem wir leben, erscheint mir daher oft wie ein Mangelsystem. Dem Überfluß an Dingen, Waren und käuflichen Dienstleistungen steht ein ewiger Mangel an persönlicher Bestätigung gegenüber. Und dies auf allen Ebenen. Beruflich erleben die meisten von uns, daß sie entweder ausgebeutet werden, sinnlose Arbeit verrichten müssen, die weder für sie selbst noch für die Gesellschaft einen Sinn ergibt, die hauptsächlich darauf ausgerichtet ist, entweder den Reichtum einiger weniger zu mehren oder aber dieses System selbst aufrechtzuerhalten, was uns aber tatsächlich eigentlich nicht mehr sinnvoll erscheint. Weil wir wissen oder spüren, daß wir damit praktisch nur verlieren können. Und wir oft genug auch tagtäglich zu spüren bekommen, daß wir die letzten Deppen sind. Und die letzten beißen die Hunde. Und die Hunde, das sind wir. So etwas baut aber nicht auf, sondern macht dauerhaft unzufrieden und irgendwann vielleicht sogar krank.
Aber wir wissen noch nicht so recht umzugehen mit dieser Unzufriedenheit. Und so manchem ist auch noch nicht klar, daß diese Unzufriedenheit nicht allein daher kommt, daß sie zu wenig Geld für ihre Arbeit bekommen, prekäre Arbeitsverhältnisse haben, einen miserablen Chef, eine Art von Zwangsarbeit oder sinnlos erscheinende Tätigkeiten verrichten müssen oder aber überhaupt alles und jede Kleinigkeit der Lebensführung unsicher geworden zu sein scheint, unser Leben nicht mehr planbar ist, wie dies noch für unsere Eltern normal gewesen ist.
All diese Aufzählungen (und noch viel mehr, jedeR mag ergänzen) aber sind Ausdruck mangelnder Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Wir bekommen damit tagtäglich aufs Brot geschmiert und vom Leben serviert, daß wir mehr oder weniger austauschbar, bloße Rädchen im Getriebe oder gar ganz überflüssig sind. Und genau darum fühlen wir uns auch unwohl. Und manche sind bereits wütend. Und noch manche anderen möchten sich wehren. Und richten ihren Widerstand genau gegen die oben genannten Formen.
Das alles ist auch gut und richtig. Aber wie ich finde, nicht ausreichend. Nicht ALLEIN ausreichend. Es fehlt etwas sehr wichtiges dabei.
Denn wie ich in den letzten Wochen und Monaten auch in der Bewegung mit den vielen Namen feststellen konnte (und zuvor teilweise auch schon in anderen Zusammenhängen) setzt sich die fehlende Wertschätzung auch bei uns selbst und unter uns fort.
Warum ist das so?
Ich denke, das liegt daran, daß wir alle (oder die meisten von uns) in einem System groß geworden sind, in welchem Streit, Abgrenzung, Konkurrenz, Wettstreit, die Orientierung auf das Eigene und Individuelle, der Individualismus usw. zur Tagesordnung gehören. Dies gehört faktisch auch zur Selbstbehauptung in diesem System dazu. Es stellt einen wesentlichen Grundkonsens des Daseins hierzulande dar. JedeR will und muß sich selbst durchsetzen, auf Gedeih und Verderb, denn sonst setzen sich andere gegen ihn durch. Und das ist deswegen so, weil diese Form des Mit- (oder vielmehr Gegen-)einanders von allen geteilt wird. Oder von den allermeisten. Von einer Generation zur nächsten weiter gegeben. Diejenigen, die das nicht wollen, und etwas anderes probieren, die scheitern daran, weil sie innerhalb eines solchen von der Mehrheit geteilten Wertesystems, das auf dem Prinzip der Konkurrenz jedes Einzelnen gegen jeden anderen basiert, daran scheitern müssen. Ihr sozialeres Verhalten wird als Schwäche interpretiert. Und folglich auch als Schwäche ausgenutzt und oft mißbraucht. So müssen sie verlieren, ob ihnen das nun recht ist oder nicht. Es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Und so werden viele mit der Zeit sehr verletzt. Manche von diesen ziehen sich zurück, andere fangen an, selbst die Praktiken zu üben, die sie eigentlich ablehnen, manche werden zynisch, krank oder rutschen in Süchte ab etc. Das gemeinschaftlich geteilte Wertesystem des Konkurrierens und Wettstreits setzt sich durch, eben deswegen weil es von der Mehrheit geteilt wird. Und weil es nun einmal Grundprinzip dieser Gesellschaft ist. Und je mehr dieses gegenwärtig in der Krise steckt, desto aggressiver wirkt es auch. Das scheint paradox, aber es ist so. Man braucht sich nur mit offenen Augen umschauen und wird dies sowohl aus den Nachrichten feststellen als auch im täglichen Leben. Bevor etwas Altes überwunden werden kann, hat es oft den Anschein, als würde sich dies Alte noch einmal selbst verstärken, bis zu Unterträglichkeit. Erst dann kann es auch überwunden werden. Denn erst dann haben auch wirklich alle restlos die Nase voll davon und sind bereit, es über Bord zu werfen. So einfach.
Folgen davon können wir auch bereits seit längerem beobachten: zunehmende Aggressivität im Alltag, Mobbing in Schulen und Betrieben (und auch in vielen Foren und auf Plattformen im Internet), Zunahme von „psychischen Krankheiten“ (die ich in dem Falle oft nicht einmal als solche bezeichnen würde, denn sie sind vielmehr recht gesunde Reaktionen auf eine kranke Umwelt) wie Depressionen, Angststörungen, Zwänge und Kontrollmacken oder auch Eßstörungen (die Gründe, warum sich dies bei dem oder jener unterschiedlich „manifestiert“, lasse ich einmal außen vor). Und es gibt noch viel mehr Folgen, die sich so einfach nicht benennen lassen. So spüren wir, daß der Druck auf uns und eine unbenennbare Anspannung zunehmen. Oder jedenfalls spüre ich dies. Ich belasse es einmal dabei. JedeR mag für sich ergänzen.
Denn worauf ich hin will, ist die Konsequenz, die wir aus dem oben umrissenen Zusammenhang ziehen sollten, nach meinem Dafürhalten.
Was also kann uns das sagen?
WIR KÖNNEN ES ANDERS MACHEN. Ganz kurz und knapp gesagt.
Ja, wir können es wirklich! Wenn wir es nur wollen und uns dazu entschließen und dies dann auch in aller Konsequenz durchziehen. Keiner von uns wird dies allein tun können. Aber zusammen geht das.
Warum können wir es anders machen? Weil auch wir eine Art geschlossenes System bilden können, so wie jenes, welches auf dem Prinzip Konkurrenz beruht. Und wir können daher miteinander vereinbaren, daß wir unter uns andere Werte haben und diese genau so leben und pflegen.
Wie oft habe ich im Internet gelesen (nicht nur von Frauen!), daß sie sich mehr Miteinander, Höflichkeit, gutes und förderliches Miteinanderumgehen etc. wünschen! Wie viele Initiativen habe ich allein in Berlin schon entstehen sehen, die sich genau aus diesem Grunde gegründet haben: weil sie sich irgendwo ein Fleckchen suchen wollten, um dort ein solidarischeres Miteinander zu leben! Sich quasi aus dieser kapitalistischen Logik herauszunehmen und dem etwas anderes entgegenzustellen. Dies alles sind gute und richtige Ansätze (meines Erachtens nach jedenfalls).
Und auch wenn der größte Teil von diesen Versuchen genau daran gescheitert ist, eben weil sie oft genau das n i c h t taten, was sie sich vorgenommen hatten, nämlich einen fairen Umgang zu pflegen, und sich Machtstrukturen auch dort unter der Hand wieder einschlichen und die Gruppe und das Projekt sprengten. So waren und sind doch all diese Versuche, wie sagt man: „Ein Wurf in die richtige Richtung“.
Woran sind also Gemeinschaftsprojekte bisher oft gescheitert?
Und was können wir daraus nun lernen für uns und für die Zukunft?
Gescheitert sind diese Projekte mehrheitlich nach meiner Beobachtung daran, daß die Werte, die sie leben wollten, nicht von allen wirklich geteilt und vor allem auch befolgt und gelebt wurden. Oft war dies nicht einmal absichtlich (manchmal aber doch). Es reicht eben nicht aus, gemeinsam das gleiche zu wollen oder ein gemeinsames Ziel zu haben. Entscheidend ist nach meiner Erfahrung am Ende immer die Art und Weise, wie dieses Ziel und das gemeinsame Wollen umgesetzt wird.
Und noch etwas: allein ein rationales Umsetzen von Gemeinschaftlichkeit mittels Plena, Reden, Ausdiskutieren usw. ist ebenfalls nicht ausreichend. Kopf und Herz müssen in eins gehen. Kopf ohne Herz ist kalt, Herz ohne Kopf oft nur sentimental. Beides im Extrem tendiert zum Krankhaften, in der ein oder anderen Form. Also ist alles Bemühen um Gemeinschaft und solidarisches Verhalten nicht ausreichend, wenn es nicht vollkommen verinnerlicht wurde und auch das Herz erreicht hat. Die Bereitschaft, sowohl an sich selbst zu arbeiten, um gemeinschaftsfähig zu werden als auch in der Gruppe und untereinander daran zu arbeiten, sind ebenfalls nach meiner Beobachtung Grundvorraussetzungen für das Gelingen von Gemeinschaftsprojekten.
Anderes, was ich sehe, aber noch nicht ganz durchdacht habe, möchte ich hier nur anreißen:
Da wäre einmal die Beobachtung, daß solche Projekte oft auch daran scheitern, weil man sich bei Projektbeginn noch völlig fremd ist. Und somit in der entscheidenden Phase zu Beginn des Gemeinschaftsprojektes auch das gegenseitige Kennenlernen und der Gruppenbildungsprozeß stattfinden, also während des Projektes erst klar wird, ob man miteinander KANN oder eben nicht. Das behindert meines Erachtens nach solch ein Projekt erheblich und führt oft dazu, daß es Trennungsprozesse gibt und das Projekt sogar beendet werden muß, weil es mit den verbleibenden Beteiligten nicht mehr durchführbar ist. Und so glaube ich, aus meiner inneren Überlegung heraus, daß es günstiger sein müßte für den Erfolg eines Gemeinschaftsprojektes, wenn sich die Beteiligten schon im Vorfeld kennen lernen und abchecken können, wer gut miteinander kann und wer nicht, mit wem also solch ein Projekt am Ende tatsächlich erfolgreich begonnen werden kann, weil der Gruppenzusammenhalt dann schon vorhanden sind, die ersten Kämpfe in der Gruppe bereits abgeschlossen sind und ein gewisses Gleichgewicht da ist. Als ein Sinnbild, welches verdeutlicht, was ich meine, mag dienen, daß auch ein Pärchen, welches sich gerade frisch kennengelernt hat, nicht gleich beginnen wird, ein Haus zu bauen oder eine Familie zu gründen, sondern sich erst einmal eine Weile kennenlernen wird, vor allem testen ob eine dauerhafte Bindung überhaupt vorstellbar und lebbar zwischen ihnen ist. Und je mehr Menschen zusammen kommen, desto wichtiger ist die Fähigkeit zu gemeinschaftlichem Kooperieren miteinander, so glaube ich.
Und die zweite Beobachtung, die ich besonders in den letzten Monaten der Bewegung machte, ist der Einfluß von Egoverhalten auf den Gruppenprozeß. Viele von uns sind voll guten Willens, voller Energie, Engagement und auch voller Ideen. Und haben eine hohe Motivation, diese auch umzusetzen, am besten sofort und mit einem mal und alles. Der Drang danach ist sehr groß, gerade wenn etwas Neues begonnen wird. Dies aber kann sich auch gegenseitig behindern. Wenn zu viele Menschen auf einmal jeweils ihre eigenen Ideen parallel zueinander umsetzen wollen, dann kann das dazu führen, daß am Ende unter Umständen keines von ihnen umgesetzt wird. Weil sie sich gegenseitig im Weg stehen. Denn was die Ideengeber dabei oft vergessen ist, daß jeder andere von ihnen das gleiche Recht und das gleiche Bedürfnis hat wie er oder sie selbst, seine Ideen umzusetzen. Und was dabei sogar noch mehr vergessen wird, ist das Gruppeninteresse. Das geht in einer solchen Konstellation mitunter sogar ganz unter. Es ist aber sogar das wichtigste, damit ein Projekt in der Gruppe überhaupt gelingen kann.
Auch hier ziehe ich den Vergleich mit einer Zweierbeziehung. In dieser gibt es nicht, wie viele glauben, nur zwei Interessen, die der beiden Partner. Sondern es gibt drei! Zu den Interessen der Partner kommt die Beziehung selbst dazu, die von beiden gepflegt werden muß, als das Gemeinsame. Beginnt nur einer von ihnen damit, nur seine eigenen Interessen zu verfolgen, den anderen aber zu vernachlässigen, gerät auch die Beziehungsebene in Gefahr, als dritte im Bunde. Und ganz ähnlich ist es in einer Gruppe. So kann es passieren, daß die Gruppe und das gemeinsame Projekt in Gefahr geraten, wenn nur einer dabei ist, der konsequent seine eigenen Interessen in den Vordergrund stellt und das Gruppeninteresse aus dem Auge verliert bzw. damit versucht, die anderen Gruppenmitgleider zu vereinnahmen für sein eigenes Interesse oder sogar zu benutzen oder zu manipulieren. Dies ist, so nehm ich im Moment an, einer der Gründe, warum das sogenannte „Führerprinzip“ nicht funktionieren kann bzw. Gruppen im Laufe der Zeit im hierarchischen System degenerieren und nicht mehr das tatsächliche Gruppenziel verfolgen. Und vermutlich auch einer der Gründe, warum am Ende irgendwann immer „die Falschen“ an die Spitze der Hierarchien gelangen und der Gruppe schließlich irgendwann den Rest geben und sie von innen heraus zerstören (und damit aber auch Neues fördern).
Da dies selbst ein umfangreiches Thema ist und ich damit für mich auch noch nicht fertig bin, nehme ich mir vor, dies Thema an anderer Stelle extra zu behandeln und nach verschiedenen Seiten zu betrachten. (Anregungen und Erfahrungen dazu jederzeit willkommen 🙂 )
Wichtig an diesem Punkt ist mir nur, daß wir bedenken, wie wichtig es ist, daß wir das Gruppeninteresse neben unseren eigenen Interessen nicht aus dem Auge verlieren und möglicherweise unsere eigenen zunächst auch zurückstecken. In einer gut funktionierenden Gruppe, wird jedeR seinen Platz finden und auch für jedeN die Zeit kommen, daß er oder sie mit seinen/ ihren Ideen zum Zuge kommt. Nur eben sicher nicht sofort und nicht auf einmal und nicht alles. Es ist also womöglich auch nötig, ein wenig Geduld aufzubringen, bis die richtige Zeit und die Gelegenheit ist, die eigenen Ideen umzusetzen.
Ich möchte dafür plädieren, daß …
… wir einen Umgang pflegen, der darauf ausgerichtet ist, daß es jedem und jeder von uns gut geht dabei
… daß wir aufmerksam zueinander sind, und uns dies auch sagen und zeigen (denn sonst merkt es der/ die andere nicht)
… nicht Streit primär im Zentrum steht, sondern das Ziel immer die Einigung ist (was nicht heißt, das eine Auseinandersetzung im Vorfeld nicht doch nötig ist. Nur bleibt das Ziel trotzdem, wieder zu einer Einigung zu kommen)
… Pöbeleien und Beleidigungen, Streit um des Streites willen, Trollereien, Frust ablassen etc.pp. nicht zugelassen werden, sondern mit (möglichst) fairen Mitteln denen, die das tun, der Wind aus den Segeln genommen wird
… jedeR so sein kann, wie sie oder er ist (also auch Schwächen zeigen darf, also auch wachsen kann, auch mit Hilfe oder Unterstützung der anderen), und nicht dazu gezwungen, den großen Max zu markieren, nur um nicht unterzugehen (im allgemeinen Hahnenkampf)
… wenn es jemandem schlecht geht, nicht etwa Abstand genommen wird (es sei denn, der/ die andere will das so), sondern man auf den/diejenigeN zugeht und wenigstens versucht, etwas Trost zu spenden (auch wenn das rein virtuell natürlich eher schwierig ist, zum echten trost braucht es eigentlich mehr als nur ein paar worte) zu fragen, was los ist oder den/diejenigeN wieder „runter“ zu bringen, so er/ sie dabei ist, abzudrehen, aus welchen Gründen auch immer.
… einfach gemeinschaftliches oder gemeinschafts/ kooperationsförderndes Verhalten geübt oder auch gelernt wird
….
Die Liste ist noch lange nicht vollständig. Mir fällt jetzt aber auch nicht alles ein, was man schreiben könnte. Sie kann ergänzt werden.
Ergänzende, aber wichtige Gedanken zur Liste
Ich weiß und bin mir dessen bewußt, daß das alles zu einer Art moralisch-kategorischem Imperativ neigt. Und das auch das wiederum im Wege stehen kann, also zum Selbstzweck verkommen, Anlaß zu Streit und neuen Auseinandersetzungen bieten könnte.
Mir kommt es aber dabei auf eine Art Gleichgewicht, eine Art dynamisches System an. Etwas, das veränderlich ist und immer wieder angepaßt und neu definiert werden muß. Alles andere wird irgendwann dogmatisch und damit schädlich und bremsend.
Und mir ist auch genauso klar, wie sehr wir alle von diesem System, welches auf Konkurrenz und Abgrenzung beruht, geprägt sind. Die einen sind darin aufgewachsen und kennen praktisch nichts anderes. Die anderen leben inzwischen auch schon über zwanzig Jahre darin. Und auch das prägt nachträglich, selbst wenn die Grundprägung eine andere war. Und so wird das erst einmal gar nicht einfach sein, gemeinschaftliches Miteinander umzusetzen. Das alles ist mir klar. Es wird von Fehlern begleitet sein, von Rückschlägen, von Streitereien darum, wie es „richtig“ ist, von Neuanfängen usw.
Und trotzdem ist es wichtig, damit anzufangen. Je eher, desto besser. Denn wenn wir nicht tatsächlich anfangen damit, dann wird es nie etwas. Nur vom Reden allein, wird es nicht passieren, wird nichts Neues geschehen, kann sich nichts verändern.
Und noch etwas: JedeR von uns wird bei sich selbst anfangen müssen! Und: NICHT den Balken zuerst im Auge des anderen suchen, sondern ganz bei sich selbst anfangen, bevor er/ sie auf andere schaut.
Individualismus vs. Kollektivismus? Mitnichten! Beides ist wichtig und beides funktioniert auch! Zusammen!
Zu guter letzt sei ergänzend etwas ebenfalls sehr wichtiges dazu gesagt: auch gemeinschaftliches Verhalten ist allein nicht glückseligmachend. Der Mensch ist immer Beides: er ist ein Einzelwesen UND ein Gemeinschaftswesen. In der DDR haben wir überwiegend das eine im Extrem gelebt, was mit Kollektivismus bezeichnet werden kann. Das war vom Ansatz her gar nicht so schlecht und hat auch nicht nur negative Effekte gehabt (weshalb ja so viele bis heute auch der DDR hinterhertrauern. Das hat, so glaube ich, mehrheitlich seine Ursache in der Erinnerung an die gelebte Gemeinschaftlichkeit. Wenn gleich die auch so manche Blüten trieb). Aber es war eben zu einseitig.
Hier in dieser Gesellschaft aber steht nur der Einzelne im Zentrum, der für sich allein seine Glückseligkeit finden soll und dies gegen die Interessen der anderen durchsetzen. Konkurrenz eben. Und dazu Individualismus total. Und das ist wirklich bei den allermeisten tief verinnerlicht und wird als richtig anerkannt und gelebt. Und trotzdem sind sie oder sehr viele unglücklich, obwohl sie sich weitgehend „selbstverwirklichen“ (was nach meiner Erfahrung eben oft nur ein anderes Wort für puren Egoismus ist). Das liegt daran, daß auch dies eben zu einseitig ist.
Der Mensch ist eben auch ein Gemeinschaftswesen, nicht nur ein Einzelwesen allein. Er braucht darum eben auch beides, den Rückbezug auf eine Gruppe (oder mindestens einen anderen Menschen und Bezugspartner) und die Bestätigung darin, aber genauso die Eigenständigkeit und eine Form von Selbstverwirklichung und Freiheit für sich selbst. Und ohne die Bestätigung eines oder mehrerer anderer bleibt auch die Selbstverwirklichung unbefriedigend. Beides bedingt letztendlich einander. Beides gehört zusammen, untrennbar. Aber das würden sich, so glaube ich, wohl die wenigsten eingestehen, aus beiden „Lagern“. Ich glaube aber, es ist dies ganz wichtig, das wir diesen Zusammenhang verstehen und schließlich auch akzeptieren und beginnen umzusetzen. DARUM geht es mir.
MIR kommt es darauf an, eben zu begreifen, daß beides gleich wichtig ist: das Gemeinschaftliche genauso wie das Individuelle. Und beides in einem gesunden Gleichgewicht liegen muß oder sollte. Erst dann ist der Mensch zufrieden und glücklich mit seinem Leben, so glaube ich nach meiner bisherigen Lebenserfahrung. Davon bin ich überzeugt. (Vorausgesetzt ist allerdings auch eine gesicherte Grundversorgung mit Lebensmitteln und einem angemessenen Dach überm Kopf, dem also was lebenswichtig ist. Sonst funktioniert auch dieses nicht, denn solange das Notwendigste zum Leben nicht gesichert ist, ist eigentlich alles nur Überlebenskampf, darüber hinausgehendes nicht möglich.)
Und daß dies in dieser Gesellschaft, in diesem System so schwierig ist, umzusetzen oder zu leben, das liegt nicht unbedingt an jedem einzelnen, es liegt schlicht daran, daß der stetige systemimmanente Zwang zur Konkurrenz nun einmal vorhanden ist und sich unter allen Bedingungen auch durchsetzen wird, und zwar solange dieser „Wert“ gemeinschaftlich und mehrheitlich innerhalb dieses Systems (dieser geschlossenen Gruppe, wenn man so will), geteilt und mitgetragen wird, auch passiv.
Wir können aber das eigene geschlossene System einer (selbstgewählten) (und auch lose vernetzten) „Gruppe“ nutzen, diesen Wert der Konkurrenz und des Kampfes jedeR gegen jedeN als „Unwert“ erklären und vereinbaren, andere Werte miteinander zu teilen und diese zu leben (und auch einander helfen dabei, denn niemand ist perfekt, wir alle sind in dieser oder jenen Form geprägt von diesem destruktiven System hier und haben entsprechend unsere Grenzen und Fehler zunächst). Wir müssen es halt nur anfangen! Nur jammern und beklagen, aber auch Reden und Konzepte schmieden allein hilft uns nicht weiter auf die Dauer. Denn von nichts kommt nichts. Wie heißt es so schön: Packen wirs an!